Hekate, eine der rätselhaftesten Figuren des antiken griechischen Pantheons, nimmt in der Mythologie und im Kult einen besonderen Platz ein. Diese chthonische Gottheit, die oft mit drei Köpfen oder Körpern dargestellt wird, ist eng mit Magie, Kreuzungen und der Unterwelt verbunden. Ihre Präsenz in der griechischen Literatur reicht von der Zeit Hesiods bis in die Spätantike, wobei sich ihr Charakter in dieser Zeit erheblich weiterentwickelt hat. Ursprünglich eine wohlwollende Gottheit in Hesiods Theogonie, wandelte sich Hekate allmählich zu einer dunkleren und gefährlicheren Figur, die mit Nachtmagie und Geistern in Verbindung gebracht wurde. Ihre polymorphe Natur und ihre Verbindung zu verschiedenen Aspekten der antiken griechischen Religion und Mystik machen sie zu einem faszinierenden Studienobjekt für moderne Gelehrte.
Ihre Entwicklung in der griechischen Mythologie
Hekate, eine Gottheit von beeindruckender Komplexität und Vielschichtigkeit, durchläuft in Mythos und Verehrung eine faszinierende Entwicklung. Ihr Wandel von einer schützenden, wohltätigen Göttin zu einer magischen, dunklen Herrscherin, die mit dem Reich der Toten und den Geistern des Unheils verbunden wird, zeigt die seit Homer bis in die erste christliche Zeit und bis zum blühenden Hekate-Kult des Mittelalters weitgespannte und variantenreiche Entwicklungsgeschichte dieser Göttin.
Die Theogonie von Hesiod präsentiert die Gottheit in gerühmter und hochgeachteter Funktion. In sie ist die Abstammung von den Titanen Phoebe und Koios und den elterlichen Gottheiten Persis und Asteria aufgepfropft; sie gehört damit in die Generation der Götter vor den Olympiern. Diese Abstammung unterstreicht die Bedeutung und ein fast vergessenes Alter der Hekate, die – wie in der Theogonie von Hesiod – nicht mehr als kleinere Figur in den archaischen Schichten der mündlichen und schriftlichen Tradition auftritt. Eine Ausführung in Hesiods Theogonie (Verse 411-452) ist dem Thema schon ganz und gar gewidmet: der Hekate, die in ohneeligen Schichten beheimatet ist und das mit den Euminiden genannte Schicksalswesen Hekate.
Insbesondere ihr Wechsel zu einer chthonischen, dunklen Form ist von Interesse. Ab dem 5. Jahrhundert v. Chr. wird sie immer mehr mit Zauberei, Seelen und der Unterwelt identifiziert. Dieser Umsturz offenbart sich in den Werken der attischen Tragödie und Komödie. In der Medea von Euripides wird Hekate als Schutzherrin der Zauberer angerufen, während Aristophanes in den Wespen sie mit hohlen, nächtlichen Riten und Umkehrungen in Zusammenhang bringt.
Die Assoziation mit den Kreuzungen, jenen Orten, wo drei Straßen aufeinander treffen, ist bedeutsam. Kreuzungen galten als Übergangsstelle und Ort des Geheimnisses, ideal für magische Praktiken und die Kommunikation mit der Unterwelt. Als Herrscherin über diese Orte gab es nicht nur einen Platz für Hekate, sondern gab es auch einen Dreikopftitel, unter dem sie berühmt war. Man stellte sie oft mit drei Köpfen oder Körpern dar, die jeweils in eine andere Richtung schauten – gleichsam den drei Wegen an der Kreuzung zugewandt.
Hekate in hellenistischer und römischer Zeit
Während der hellenistischen und römischen Zeit entwickelte sie sich weiter und erhielt eine noch komplexere Symbolik und Assoziationen. In magischen Texten dieser Zeit, wie den Griechischen Magischen Papyri, erscheint Hekate als eine mächtige Gottheit mit weitreichenden Kräften. Sie wird oft mit anderen Gottheiten wie Artemis, Persephone und dem Mond identifiziert oder assoziiert, wodurch ihr Einflussbereich erweitert wird.
Plutarch, einer der wichtigsten Schriftsteller der Spätantike, bietet eine besonders interessante Perspektive auf Hekate. In seinen Werken erscheint die Göttin in verschiedenen Kontexten, von rituell bis astral. Plutarch stellt einen Wendepunkt in ihrer literarischen Tradition dar, indem er neue astrale Qualitäten in ihre Charakterisierung einführt(López-Carrasco, „The Conception of the Goddess Hecate in Plutarch“).
Die Entwicklung der Hekate von einer wohltätigen Göttin zu einer komplexen chthonischen Macht spiegelt die sich verändernden spirituellen und religiösen Bedürfnisse der antiken griechischen Gesellschaft wider. Ihre Fähigkeit, sich anzupassen und verschiedene Rollen und Symboliken zu übernehmen, machte sie zu einer zeitlosen und multidimensionalen Gottheit, deren Einfluss über die Grenzen der antiken griechischen Religion hinausreichte.
Verehrung und Rituale
Ihr Kult, vielfältig und oft geheimnisvoll, spiegelt die komplexe Natur der Göttin wider. Von öffentlichen Zeremonien bis hin zu geheimen magischen Praktiken nahm Hekate einen einzigartigen Platz in der religiösen Landschaft des alten Griechenlands und Roms ein.
Heiligtümer und Orte der Verehrung
Die Heiligtümer der Hekate, die sich oft in Grenzgebieten befanden, spiegelten ihre Rolle als Hüterin von Übergängen und Grenzen wider. In Milet wurde zum Beispiel ein kreisförmiger Altar, der Hekate geweiht war, in der Anlage des Apollon Delphinium gefunden, der aus der Zeit vor 500 v. Chr. stammt. Diese frühen archäologischen Beweise deuten darauf hin, dass die Göttin bereits in der archaischen Zeit eine wichtige Rolle spielte.
In Athen wurde sie als „Epipyrgidia“ am Eingang zur Akropolis neben Hermes Propyläos verehrt. Diese Platzierung unterstreicht ihre Rolle als Beschützerin der Eingänge und Tore. Zur gleichen Zeit standen kleine Altäre und Statuen der trimorphen Hekate (bekannt als „hecateia“) vor Privathäusern und vor allem an Straßenkreuzungen.
Eines der wichtigsten Zentren ihrer Verehrung befand sich in Lagina in Karien, in der Nähe von Stratonikeia. Dort wurde sie während der hellenistischen und römischen Zeit als regionale Muttergöttin verehrt. Zum Heiligtum von Lagina gehörte ein beeindruckender Tempel mit einem Relieffries, in dem sie in verschiedenen mythologischen Szenen dargestellt wurde.
Die Gaben und Opfer für Hekate waren so eigenartig wie die Göttin selbst. In Athen ist die Dokumentation ihrer Verehrung besonders reichhaltig und vielfältig. Zu ihren bevorzugten Speiseopfern gehörte ein Fisch, der in anderen Kulten normalerweise gemieden wurde – die Rotbarbe (trigla). Auch heilige Torten, die mit winzigen brennenden Fackeln, den so genannten ‚Amphiphonen‘, verziert waren, wurden angeboten.
Die vielleicht berüchtigtste Opfergabe an Hekate war das Opfern von Welpen. Dieser Brauch, der in verschiedenen Regionen wie Athen, Kolofona, Samothrake und Thrakien bezeugt ist, war sowohl kathartisch als auch nahrungsbezogen. Ihre Verbindung zu Hunden war in der Mythologie und im Volksglauben tief verwurzelt, da diese Tiere als ihre Begleiter auf ihren nächtlichen Wanderungen galten.
Ein besonderes Ritual waren die ‚Ekateria-Abendessen‘, Mahlzeiten, die jeden Monat bei Neumond an Kreuzungen eingenommen wurden. Diese Mahlzeiten, bestehend aus verschiedenen Backwaren, Eiern, Käse und Hundefleisch, waren für Hekate und ihre spirituellen Anhänger bestimmt.
In Hexerei und Hexenkunst
Ihre Verbindung zur Magie und der Unterwelt hat sie zu einer zentralen Figur in vielen magischen Praktiken gemacht. In magischen Schriftrollen und Flüchen wird Hekate oft zusammen mit anderen chthonischen Gottheiten wie Hermes Chthonius, Earth Chthonia und Persephone angerufen.
Katadesms, kleine Bleiplatten mit eingravierten Flüchen, sind eine reiche Quelle für Informationen über die magische Verwendung von Hekate. In einem Katadessmus aus dem hellenistischen Athen wird Hecate Chthonia „zusammen mit der wütenden Erinyes“ angerufen, was ihren furchterregenden und rachsüchtigen Charakter unterstreicht.
In der magischen Praxis wurde sie oft mit anderen Gottheiten wie Bavo, Brimo und Selene identifiziert oder verbunden. Diese Verschmelzung von Identitäten stärkte ihre Macht in den Augen ihrer Magier und Verehrer.
Die Verehrung und die Rituale der Hekate offenbaren eine Gottheit, die eine Brücke zwischen der Welt der Lebenden und der Welt der Toten, zwischen Licht und Dunkelheit, zwischen Schutz und Zerstörung schlug. Die Komplexität und Ambivalenz, die ihre Verehrung kennzeichneten, spiegeln das tiefe menschliche Bedürfnis wider, die dunklen und geheimnisvollen Kräfte, die Leben und Tod bestimmen, zu verstehen und zu besänftigen.
Ihre Präsenz in Kunst und Literatur
Ihre Darstellung in Kunst und Literatur spiegelt ihr komplexes Wesen und ihre Entwicklung im Laufe der Jahrhunderte wider. Von frühen Darstellungen bis hin zu modernen Interpretationen bleibt Hekate eine ehrfurchtgebietende und faszinierende Figur.
Ihre Darstellungen in der Kunst lassen sich in zwei grundlegende Kategorien einteilen: eingesichtige und dreigesichtige. Das früheste Beispiel des ersten Typs ist wahrscheinlich eine Tonfigur einer sitzenden weiblichen Figur auf einem Thron, die von Aegon der Hekate gewidmet wurde und aus dem späten 6. Jahrhundert v. Chr. stammt.
Nach etwa 430 v. Chr. wird die Göttin der Kreuzungen oft als aufrechte weibliche Figur mit drei Gesichtern oder Körpern dargestellt, die jeweils einer der Kreuzungen entsprechen. Die trimorphe Hekate soll eine Schöpfung des Alkamenes sein. Sie wird oft mit einem Polo (göttlicher Kopfschmuck) dargestellt und hält Fackeln in den Händen. Gelegentlich erscheint sie auch mit einem Flachmann, einem Schwert, Schlangen, Zweigen, Blumen oder einem Granatapfel.
Am Altar des Zeus in Pergamon greifen Hekate und ihr Hund einen schlangenartigen Riesen an. Ihr einzigartiger Körper trägt drei Köpfe und drei Armpaare, was ihre dreifache Natur unterstreicht. Äußerst selten ist die Darstellung von Hekate in einem Krater mit gekapptem Rand, wo sie geflügelt erscheint, um Aktäons rasende Hunde zu ermahnen, während Artemis zusieht.
Referenzen zur antiken griechischen Poesie und zum Drama
In der antiken griechischen Literatur taucht Hekate in einer Vielzahl von Werken auf, von der Lyrik bis zum Drama. In Aischylos‘ Tragödien bezieht sich der Titel „Hekate“ auf Artemis im Zusammenhang mit der Geburt und jungen Tieren. In Euripides‘ Medea beschwört die Protagonistin sie als Beschützerin der Magier und verstärkt damit die Assoziation der Göttin mit der Magie.
Die griechischen Schriftsteller der Antike versuchten, die dreifachen Aspekte der dreifaltigen Göttin verbal zu vermitteln. In einer Komödie von Charikles wird Hekate humorvoll als „Despina Hekate der drei Wege, der dreifachen Form, des dreifachen Gesichts, fasziniert vom dreifachen Fisch [Barbe]“ angerufen.
Ihre Präsenz im eleusinischen Mythos und Kult ist ebenfalls bemerkenswert. In Homers Hymne an Demeter unterstützt Hekate Demeter bei ihrer Suche nach Persephone und wird nach der Wiedervereinigung von Mutter und Tochter zur „Dienerin und Dienerin“ der Tochter. Attische Töpfer haben Hekate in ihre Darstellungen der Rückkehr von Koris und der Mission von Triptolemus aufgenommen.
Ihr Vermächtnis in der modernen Kultur
Ihr Einfluss reicht über die Antike hinaus und hat einen unauslöschlichen Abdruck in der modernen Kultur hinterlassen. In der Literatur inspiriert sie weiterhin Schriftsteller und Dichter. Ihre dunkle Natur und ihre Verbindung zur Magie machen sie zu einer beliebten Figur in Fantasy- und Horrorromanen.
In den modernen heidnischen und neuheidnischen Praktiken nimmt Hekate einen wichtigen Platz ein. Viele halten sie für die Beschützerin der Hexen und Zauberer, während andere sie als Göttin der Übergänge und Grenzen verehren. Die Komplexität ihres Charakters lässt eine Vielzahl von Interpretationen und Ansätzen in der modernen Verehrung zu.
Ihre Ikonographie hat auch die moderne Kunst und das Design beeinflusst. Ihre trimorphe Bildsprache ist nach wie vor ein kraftvolles Symbol, das häufig in Werken verwendet wird, die sich mit Themen wie Verwandlung, Geheimnis und Macht beschäftigen.
In der akademischen Welt weckt das Studium von Hekate weiterhin das Interesse der Forscher. Wie López-Carrasco feststellt, ist die Entwicklung des Verständnisses der Hekate von Hesiod bis Plutarch und darüber hinaus ein faszinierendes Forschungsgebiet, das wertvolle Einblicke in die sich verändernden religiösen Vorstellungen in der antiken Welt offenbart (López-Carrasco).
Das Vermächtnis der Hekate in der Neuzeit beweist ihre zeitlose Faszination. Als Symbol der Verwandlung, des Geheimnisses und der Macht fordert sie uns weiterhin heraus und inspiriert uns. Sie erinnert uns an unsere fortwährende Beziehung zu antiken Mythologien und an das ständige Streben des Menschen, die dunklen und geheimnisvollen Aspekte der Existenz zu verstehen.
Die Erforschung von Hekate offenbart eine Gottheit, die die konventionellen Grenzen der griechischen Mythologie überschreitet. Von ihrem anfänglichen Erscheinen als wohltätige Göttin bei Hesiod bis hin zu ihrer Verwandlung in eine chthonische Macht und Beschützerin der Magie spiegelt Hekate die wechselnden spirituellen Bedürfnisse der antiken Gesellschaft wider. Ihre trimorphe Natur und ihre Verbindung mit Kreuzungen unterstreichen ihre Rolle als Vermittlerin zwischen den Welten. Ihre Verehrung, die von öffentlichen Zeremonien bis zu geheimen magischen Praktiken reicht, offenbart die Komplexität des antiken religiösen Denkens. Hekates zeitlose Faszination, die bis in die Neuzeit reicht, zeigt das anhaltende Bedürfnis des Menschen, die dunklen Mächte, die Leben und Tod bestimmen, zu verstehen und zu besänftigen.
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Bibliographie
- López-Carrasco, N. „Hekate bei Plutarch“. Oxford Research Encyclopedia of Classics, 2018. hecate in Plutarch.
- López-Carrasco, N. „The Conception of the Goddess Hecate in Plutarch.“ Riuma, 2018. the Conception of the Goddess Hecate in Plutarch.
- Carrasco, N. L. „Plutarchs religiöse Landschaften.“ 2021. Plutarch’s Religious Landscapes.